Tag 43-50 / Meile 703-789: Get on top

"Come with me 
'cause I'm an ass killer.
You're ill but 
I'm iller."

Red Hot Chili Peppers

Ich habe Höhenangst. Wer mich kennt, weiß, dass ich schon auf der zweiten Stufe einer Leiter weiche Knie bekomme. Ich stelle mich aber auch gerne Herausforderungen – und die erste Woche in den High Sierras sollte so eine sein.

An unserem Zero Day in Kennedy Meadows widmen wir uns ganz der Vorbereitung auf die nächste Etappe. Überall wird diskutiert: Abwarten oder Weiterwandern? Steigeisen oder Spikes? Eisaxt oder nicht? Es ist zwar schon Juni, doch in den Höhen der Sierras ist noch alles mit Schnee bedeckt. Wir suchen Rat bei Yogi: Sie ist den PCT drei Mal gewandert, hat danach beschlossen nach Kennedy Meadows zu ziehen und betreibt in der Saison einen Outdoorausstatter für PCT-Hiker. Nach langem Abwägen entscheide ich mich für die Steigeisen und gegen eine Eisaxt – damit könnte ich eh nicht umgehen. Zusätzlich müssen wir ab hier einen Bärenkanister tragen. Unsere Rucksäcke werden also um einiges schwerer.

Am nächsten Tag ziehen Josee und ich alleine los. Leas Fuß macht Probleme und sie muss ihre Auszeit in Kennedy Meadows verlängern. Wir planen sie nach fünf Tagen an der Abzweigung zum Mount Whitney Trail wiederzutreffen.

Die Sierras begrüßen uns mit zwei Klapperschlangen innerhalb von 15 Minuten – damit hatten wir nicht gerechnet. Doch nach 20 Meilen und 1000 Höhenmetern sind wir raus aus der Schlangenzone – die nächsten Tage befinden wir uns fast immer über 3000 Metern. Und in der Ferne sehen wir die schneebedeckten Gipfel, auf die wir uns (gar nicht so) langsam aber sicher zubewegen.

Am vierten Tag verlassen Josee und ich den PCT für einen eintägigen Ausflug auf den Mount Whitney, der mit 4424 Metern der höchste Berg der USA außerhalb Alaskas ist. Und weil ihn einfach nur zu besteigen ja zu langweilig wäre, habe ich mir in den Kopf gesetzt, den Gipfel zum Sonnenaufgang zu erreichen. Wir schlagen unsere Zelte also am letztmöglichen Platz, vier Meilen vor den Gipfel auf 3600 Metern, auf.

Neben uns zeltet „Couchpotatoe“ aus Kanada. Er will auch zum Sonnenaufgang hoch. Um 18 Uhr liegen wir im Bett, um 1 Uhr geht mein Wecker. Um halb zwei stapfen wir los – unsere Kopflampen das einzige Licht unter dem riesigen dunklen Sternenhimmel. Es ist wunderschön und angsteinflößend zugleich. Doch Josee macht die Höhenluft zu schaffen. Und aufgrund einer unruhigen Nacht bricht sie nach 400 Metern ab und kehrt zurück zum Zelt. Ich bin froh, dass ich Couchpotatoe bei mir habe. Wir ziehen zu zweit weiter – Höhenmeter für Höhenmeter. Schon bald erreichen wir die ersten Schneefelder und ich schnüre mir die Steigeisen um. Ich weiß nicht, ob es neben mir 20 oder 200 Meter herunter geht – der Abgrund bleibt in der Dunkelheit. Darüber bin ich froh, obwohl Couchpotatoe und ich uns auch immer wieder fragen, warum wir das hier eigentlich machen. Doch Umkehren ist jetzt keine Option mehr. Stur gehen wir weiter. Ich atme immer heftiger und kann es kaum erwarten den Gipfel zu erreichen. Gegen fünf Uhr ist es dann soweit. Die letzten Schritte – und die Farben des Sonnenaufgangs erscheinen am Horizont. Ein unglaubliches Gefühl.

Wir sind acht Leute auf dem Gipfel, sitzen hier, frühstücken, und sehen wie langsam die Sonne aufgeht. „Sind wir jetzt badass?“, fragt Couchpotatoe. Doch ich antworte: „Erst wenn wir wieder unten sind.“ Nach einer Stunde mache ich mich auf den Weg – und finde es tatsächlich weniger schlimm, als in der Nacht – obwohl ich die Abhänge sehe. An den gefährlichen Stellen wartet immer Jemand auf mich, um zu gucken, ob ich es ohne Schwierigkeiten schaffe. Couchpotatoe holt mich bald ein und zusammen gehen wir zurück zum Zelt. „Jetzt sind wir badass!“, sage ich und wir klatschen ein.

Josee geht es wieder besser und sie will die Besteigung am Tag nachholen. Ich gehe also schon einmal zur Wegabzweigung, um Lea in Empfang zu nehmen. Ohne Handyempfang ist es schwer, Absprachen zu treffen und so warte ich drei Stunden auf sie, nur um dann festzustellen, dass sie schon fünf Stunden lang keine 300 Meter weiter auf mich wartete. Doch die Freude ist groß, als wir endlich wieder zu dritt vereint sind.

Leider ist keine Zeit, um sich groß auszuruhen: Am nächsten Tag steht der Forester Pass an – mit 4009 Metern der höchste Punkt des PCT – und einer der meistgefürchtesten. Wir wandern noch sieben Meilen, bis acht Uhr Abends – ich war also 19 Stunden auf den Beinen. Doch ausschlafen kann ich nicht. Um fünf Uhr geht es weiter, damit wir den Pass erreichen, wenn der Schnee noch hart ist. Ich hetze fünf Meilen bergauf und bin richtig kaputt. Und dann stehen wir vor einer riesigen Bergfront und fragen uns, wo es bitteschön hier weiter gehen soll?

Doch dann sehen wir den Trail, teilweise vom Schnee verschüttet. Das letzte Stück geht über einen schneebedeckten Abhang – da müssen wir drüber. Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, ziehe die Steigeisen an und ziehe los. Teilweise überspringe ich das Zick-Zack des Weges und gehe senkrecht hoch. Und dann stehe ich vor den letzten 20 Metern. Ich schaue nicht auf den Anhang links neben mir – nur auf die Schritte, die ich gehe. Einer nach dem anderen. Die Wanderstöcke zur Sicherung in den Schnee gesteckt.

Und dann habe ich es geschafft. Ich Falle in Josees und Leas Arme. Wir haben es geschafft! Ich bin voller Adrenalin und fühle mich wie ein König.

Doch auf der anderen Seite geht es wieder herunter – und hier ist ALLES voller Schnee. Immerhin sieht es nicht mehr so gefährlich aus. Zusammen mit „Slippy“ machen wir uns an den Abstieg und versuchen uns zu beeilen, um das sogenannte „postholing“ – also das Einsinken in den Schnee – zu vermeiden. Je wärmer es wird, desto öfter versinken meine Beine. Zwei Mal können wir uns hinsetzen und einfach den Abhang hinunter rutschen. Über 600 Höhenmeter müssen wir absteigen, bevor wir aus dem Schnee heraus sind und endlich Pause machen können.

Wir ziehen noch sechs Meilen weiter. Am nächsten Tag wandern wir acht Meilen vom Trail weg, um zur nächsten Straße zu kommen. Von hier fahren wir 60 Meilen per Anhalter bis Bishop. Die Dusche wartet.

Ich glaube, die letzten zwei Tage waren die Herausforderndsten meines Lebens. Ich habe es gewagt – und geschafft. Weiter geht’s!

Hier ist das Video der letzten Tage: https://youtu.be/cnD9nZv6V3g

Und weil ich es nicht früher geschafft habe, noch das Video von Tehachapi bis Kennedy Meadows: https://youtu.be/WjRlPJRCj9U


4 Gedanken zu “Tag 43-50 / Meile 703-789: Get on top

  1. Ja. das ist wieder toll geschrieben, als wäre man (fast) dabei. Es ist immer wieder schön, wenn man sich selbst für seinen Mut und seine Willensstärke soooo toll belohnen kann! Gutes Gelingen und viel Glück weiterhin!!!

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